Rio Reiser wäre am 9. Januar 70 Jahre alt geworden. Der erste Auftritt seiner Band Ton Steine Scherben jährt sich am 6. September zum 50. Mal. Das bewegte uns dazu, das Ton Steine Scherben-Jahr auszurufen!
Dafür haben wir unzählige kleine Anekdoten um die Scherben zusammengetragen, welche unten nachzulesen sind.
Außerdem gab es ein Konzert, das mit Hilfe der Initiative #sogehtsächsisch aufgezeichnet wurde und weiterhin nachzuhören ist.

Das Scherben-Jahr

Konzert zum Scherben-Jahr

Es war großartig! Vielen Dank an alle, die da waren, an das Team der Chemiefabrik Dresden, an Jens an der Tontechnik, unser Streamingteam um Omani, Thomas und Marius und natürlich an die Band: Anne Lenk, Tini Bot, Jan Kosyk, Jan Hoyer, Adi Röbisch, Atze Rudolf, Henk Teichmann und Achim Jurenz.
 
Das Konzert ist weiterhin auf YouTube nachhörbar: https://www.youtube.com/watch?v=xP4ZRAGxrKE #sogehtsächsisch

Geschichten der Scherben

Im folgenden findet ihr von uns recherchierte Geschichten und Infos um die Scherben. Diese veröffentlichen wir bis zum 5. September jede Woche auf Instagram und Facebook.

Macht kaputt was euch kaputt macht

Der erste Auftritt der Scherben sollte Maßstäbe setzen. Beim Love-and-Peace-Festival am 6. September 1970 auf Fehmarn forderte Rio Reiser, den Veranstalter „ungespitzt in den Boden zu hauen“, weil dieser mit der Tageskasse abgehauen war. Zu den Klängen von Macht kaputt, was euch kaputt macht ging das Veranstalterzentrum in Flammen auf.

Quelle: Wikipedia

Halt dich an deiner Liebe fest

Halt dich an deiner Liebe fest wurde erstmals 1975 auf dem Album „Wenn die Nacht am tiefsten“ veröffentlicht. Mit diesem Album wandte sich die Band von der linken Szene West-Berlins ab und zog nach Fresenhagen in Ostfriesland um ihre Musik und sich selbst der Instrumentalisierung durch politische Gruppen zu entziehen und den Diskussionen und Konflikten mit diesen Gruppen zu entkommen. Das Album reflektiert diesen Wendepunkt sehr deutlich. Florian Kreier beschreibt es folgendermaßen:
Die inhaltliche Ausrichtung bleibt nach wie vor bestehen, es dominieren Themen wie Freiheit, Gleichheit, Liebe, Menschlichkeit oder Gerechtigkeit – aber die Radikalität ist verschwunden und gegen die Sehnsucht nach Frieden und Hoffnung eingetauscht. An die Stelle von Agitation tritt Fantasie, die aggressive Stimmung der Vorgängeralben wird ersetzt durch eine Mischung aus Verzweiflung und Zuversicht. Während im Manifest »Musik ist eine Waffe« der Sinn der Scherben-Songs war, Stärke zu vermitteln, scheint die Absicht der dritten Platte zu sein, Hoffnung und Mut für neue Wege zu spenden.

Quelle (gekürzt):
Bennet Schuster: “Das Private ist politisch? Die Texte von Ton Steine Scherben und die Neue Subjektivität”, Masterarbeit im Studiengang Deutsche Philologie, Freie Universität Berlin, 15.03.2018
http://www.riolyrics.de/artikel/id:982

Grafik aus:
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 44

R.P.S. Lanrue – Ralph Peter Steitz

»[W]er etwas auf sich hielt, stand bei den Schulbällen mit der Gitarre auf der Bühne. Aber Ralph wollte nicht vorne stehen. Er kaufte sich ein Schlagzeug und nahm ganz hinten Platz. Sie nannten sich die Beat Kings und probten für den ersten Auftritt im Schwesternhaus in Niederroden, aber sie brauchten dringend noch einen Gitarristen. Ralph suchte überall, in der Schule, in den Jugendeinrichtungen, sogar auf dem Bauplatz, auf dem er die Wochenenden verbrachte, um das Schlagzeug abzubezahlen. Und da, – nicht auf der Bühne oder im Studio – wurde die erste entscheidende Weiche gestellt in Ralphs Leben. Er erzählte dem Baggerfahrer von seinem Dilemma mit dem Gitarristen, und der Baggerfahrer sagte: „Es gibt da einen guten Musiker, der wohnt gleich bei dir gegenüber“.
Der Baggerfahrer war Blalla W. Hallmann von Hoffmanns Comic Teater, und der Gitarrist, von dem er sprach, war Rio Reiser, ein junger Musiker, der gerade die Musik für […] Robinson 2000, die erste Beatoper der Welt, schrieb.«

Quelle:
Hans W. Korfmann (Kreuzberger Chronik, Juni 2016 – Ausgabe 180)
https://browse.gallery/tonsteinescherben-rps-lanrue/

Bildquelle:
R.P.S. Lanrue beim Konzert mit Ton Steine Scherben in Nürnberg, 2014, commons.wikimedia.org
Foto: Stefan Brending, Lizenz: CC BY-SA-3.0 DE

Wir müssen hier raus

Der Song erschien 1972 als erster Song auf dem zweiten Album „Keine Macht für Niemand“, das wegen des schlichten Covers auch als „Die Weiße“ bezeichnet wird. Hintergrund ist der sich verschärfende Konflikt zwischen Staat und Gegenkultur: Hausbesetzungen, die Radikalisierung des Blues und der Haschrebellen und der Tod Georg von Rauchs und Thommy Weißbeckers.
Wir müssen hier raus entstand als „Auftrag für einen Film über das Kreuzberger Jugendzentrum.“ Dieses war noch vor dem Rauch-Haus durch eine Besetzung entstanden und war, wie später das Rauch-Haus oder die Band-Kommune am Tempelhofer Ufer, zum ersten Anlaufpunkt für die Jugendlichen des Viertels geworden, die in der Schule, der Lehre, oder zu Hause Probleme hatten.

Quelle:
Bennet Schuster: “Das Private ist politisch? Die Texte von Ton Steine Scherben und die Neue Subjektivität”, Masterarbeit im Studiengang Deutsche Philologie, Freie Universität Berlin, 15.03.2018
http://www.riolyrics.de/artikel/id:982

Grafik aus:
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 44

Kai Sichtermann

Kai Sichtermann ist Bassist und Gründungsmitglied der Scherben. Er hat den Wahnsinn von Anfang an miterlebt, von der ersten Schallplatte „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ bis zum Tod von Rio Reiser. Zu einem Vergleich von „Feine Sahne Fischfilet“ mit den Scherben im Spiegel 2018 schrieb er in einem Leserbrief:

»Ihr Autor Arno Frank schreibt: „Feine Sahne Fischfilet mögen Ton Steine Scherben ähnlicher sein als den Sex Pistols“. Hier liegt leider ein Missverständnis vor, das nicht zum ersten Mal auftritt. Feine Sahne Fischfilet spielen Punk-Rock, ähnlich wie die Sex Pistols es taten. Das haben Ton Steine Scherben nie getan. Die Scherben mögen aufgrund ihrer bescheidenen Produktionsmittel in ihrer Anfangszeit 1970 bis 1972 „punkig“ geklungen haben (Garagenrock), genremäßig sind sie aber wohl eher dem Folkrock zuzuordnen. Würde Herr Frank sich Scherben-Platten anhören, würde er eine ganze Palette von musikalischen Stilübungen entdecken, von Hardrock bis Psychedlic, über Balladen bis hin zu Reggae-Parodien.«

Quelle:
http://www.kivondo.de/kai-sichtermann.html

David Volksmund Produktion

Aufgrund der Texte und politischen Ausrichtung der Scherben wollte zunächst kein Major-Label die Musik vermarkten. Aus der Not wurde eine Tugend und alle Alben der Band erschienen unter dem eigenen, 1971 gegründeten, Label.
»David Volksmund« ist neben »R.P.S. Lanrue« ein Pseudonym von Ralph Peter Steitz. Neben den Scherben wurden Tonträger von Gruppen wie Carambolage und Stricher veröffentlicht.

Quelle: Wikipedia

Der Traum ist aus

Rio Reiser ist am 20. August vor 24 Jahren gestorben.

Christof Bock dazu 2006 auf stern.de:
»Rio Reisers Tod riss vor 10 Jahren ein Loch in die deutsche Musiklandschaft. Es fehlt die verwaschene, raue Stimme, das Ehrliche dieses spindeldürren Mannes. Des “Königs von Deutschland”, der barfuß über die Bühne sprang, ekstatisch von Liebe oder Umsturz sang, mühelos mit Sprache spielte. “Rio war neben Udo Lindenberg die prägende Figur der deutschsprachigen Popmusik”, sagt ein Weggefährte, der Theaterchef Corny Littmann. Die vielen jungen Bands, die heute intelligenten deutschsprachigen Pop machen, verdanken ihm viel. Am 20. August 1996 endete auf einem Bauernhof in Stadum-Fresenhagen westlich von Flensburg Reisers wildes Leben: Er starb mit 46 an Herz-Kreislauf-Versagen.«

Quelle: stern.de

Funky K. Götzner

»Funky K. Götzner ist seit 1974 Schlagzeuger der Scherben. Er kannte Rio durch viele Jahre gemeinsamen Lebens in der Kommune und durchs Tourleben nicht nur sehr gut, er liebte ihn wie einen Bruder. Wenn er von ihm erzählt, wird einem immer wieder warm ums Herz. Noch heute spielt er mit dem Gründungsmitglied Kay Sichtermann sehr erfolgreich mehr als 100 Konzerte quer durch Deutschland, um die Rio- und Scherbensongs weiter durch die Zeit zu tragen.«

Quelle: Zitty
Foto: Martin Fürbringer, 2018
Weitere Infos:
tonsteinescherbenfamily.de/scherben-akustisch.html

Misha Schoeneberg

1981 – 1985

Nach seiner Zeit „als letzter Hippie Europas“ in Goa, Indien, stieß Misha 1981 zu der in Nordfriesland lebenden Musik-Kommune Ton Steine Scherben. Mit Claudia Roth übernahm er das Tour-Management und war als Bühnen- & Licht-Designer tätig. Für das letzte Album »Scherben« sowie die ersten drei von Rio schrieb er Texte.

Außerdem veröffentlichte er als Solo-Künstler das letzte Album der David Volksmund Produktion »Sternschnuppen«, Rockpoesie in Deutsch, produziert von Rio Reiser, der sein Lebensgefährte wurde.
Am 9. November 1989 verließ Schoeneberg den Kommunehof Fresenhagen.

Quelle: Wikipedia

Mensch Meier

Der auch als BVG-Song bekannte Titel entstand durch eine Idee von Klaus Freudigmann: Er hatte eine alte Plattenpresse aufgegabelt und schlug vor, statt eines Flugblatts eine singende, klingende Flexi-Disc an die Nutzenden der öffentlichen Verkehrsmittel zu verteilen. Anlass war eine Demonstration gegen Fahrpreiserhöhungen der Berliner Verkehrsbetriebe. Die Fahrpreise wurden 1972 von 40 auf 50 Pfennig für eine U-Bahn-Fahrt und von 50 auf 60 Pfennig für eine Busfahrt erhöht.

Quelle
Das Private ist politisch? – Die Texte von Ton Steine Scherben und die Neue Subjektivität, Bennet Schuster, Berlin, 15.03.2018

Warum geht es mir so dreckig?

Im Juni 1971 organisierten Agit 883 und die Rote Hilfe eine „Informationsveranstaltung“, bei der es um leer stehende Häuser am Kreuzberger Mariannenplatz ging, die zum Abriss freigegeben waren. Die Scherben unterstützten die Veranstaltung musikalisch. Im Anschluss an das Konzert kam es zu einer der ersten spontanen Hausbesetzungen in Berlin. Das Konzert wurde mitgeschnitten und für die erste Seite des Albums “Warum geht es mir so dreckig?” verwendet.

Quelle: Wikipedia
Bildquelle:
Michael Fiegle, CC BY-SA 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

Scherben-Chronologie am Schlagzeug

Sommer 1970 in Berlin
Rio Reiser, RPS Lanrue, Kai Sichtermann und Wolfgang Seidel (Schlagzeug) nehmen in einem Kreuzberger Hinterhof-Studio die Songs “Macht kaputt was Euch kaputt macht” und “Wir streiken” auf und lassen sie unter dem Etikett TON STEINE SCHERBEN als Singles pressen.

September 1971
Die SCHERBEN ziehen in die 8-Zimmer-Altbau-Wohnung in Berlin-Kreuzberg und gründen eine Kommune. Schlagzeuger Wolfgang Seidel schließt sich der Gruppe ERUPTION an und wird durch Sven Jordan ersetzt.

Frühjahr 1972
Wieder Deutschland-Tournee. Wieder Verkehrskontrollen und Leibesvisitationen. Wieder keine Waffen, keine Helme, keine Zitronen. Schlagzeuger Sven Jordan wird durch Olaf Lietzau (März) und Captain Hynding (April bis Oktober) ersetzt.

Februar bis Mai 1973
Tourneen, bei denen Helmut Stöger Schlagzeug spielt.

Januar 1974
TON STEINE SCHERBEN finden endgültig ihren Schlagzeuger: Funky K. Götzner.

Quelle: kivondo.de, Scherben-Chronologie
Grafik:
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 17
Wolfgang Seidel beim Auftritt in der Mensa der TU Berlin, Foto: Jutta Matthess

Nikel Pallat

Gesang/Saxophon, 1970 bis 1978

“Die Axt in der Kunst, da gibt es wenig Unterschied zur Axt im Wald, ist ein grobes Instrument. Ein brutales Mittel. Die Axt ist Zerstörung, die Axt ist die Aufrüttelung des Status quo. Und keine Band hat den Status quo der alten BRD mehr aufgerüttelt als Rio Reiser und Ton Steine Scherben. Weshalb die berühmteste Axt der TV-Geschichte konsequenterweise auch dem Scherben-Musiker Nikel Pallat gehört. Der Westdeutsche Rundfunk, 1971, die Sendung heißt »Ende offen«. Rauchende, langhaarige Männer streiten über Musik und Kommerz. »Das Fernsehen macht hier so eine scheißliberale Veranstaltung, an der Unterdrückung aber ändert sich nichts«, sagt Pallat. Und damit überhaupt noch was passieren könne, müsse er jetzt diesen Tisch kaputt machen. Pallat greift zum mitgebrachten Beil und hackt auf den Tisch ein. Doch der hält. Ein großer trauriger Moment, der viel sagt über die Widerstandsfähigkeit des Kapitalismus und die Wirkungslosigkeit von Protest.”

Quelle: Julian Dörr
Grafik: WDR, 1971

Album „IV“: Die Schwarze

Die Schwarze ist folgendermaßen entstanden: Wir hatten gerade keinen Auftrag und haben dann mit den Tarot-Karten, jeder von uns der Reihe nach, einen Song gemacht. Das war ein guter Schachzug: Wir nehmen die zweiungzwanzig Tarot-Karten und machen zu jeder einen Song. Das war ja schon 1980, und die ganze Aufbruchsstimmung war längst vorbei; 77 mit der Schleierentführung war es mit der Intensität der linken Bewegung vorbei! Dann kam ja die Anti-AKW-Bewegung und dann schon die Grünen.

Quelle: riolyrics.de
Bildautor: Gert C. Möbius, Quelle: Wikimedia

Jörg Schlotterer

Flöte und Orga, 1971 bis 1978

September 1971: Die Scherben ziehen in die 8-Zimmer-Altbau-Wohnung von Jörg Schlotterer, damals im Vorstand des SDS, am Tempelhofer Ufer 32 in Berlin-Kreuzberg und gründen eine Kommune. Schlotterer bleibt dort wohnen und wird Mitglied der Band.

Quelle: kivondo.de, Scherben-Chronologie
Grafik: Linde

Werner „Gino“ Götz

Bass, 1974 bis 1975

In den Jahren von 1973 bis 1974 hatten Ton Steine Scherben immer weniger Lust darauf, die „politische Musikbox“ der linken Szene zu sein. Dazu gehörte schließlich auch, dass man vom Publikum höchstens einen „Solidaritätsbeitrag“ als Eintritt fordern konnte, wovon es sich nicht besonders gut leben ließ. Daraufhin distanzierte sich die Band immer weiter von den Hausbesetzerparolen, auch wenn man der linken Ideologie treu blieb. Finanzielle Probleme führten zur Auflösung 1973. Die Trennung hielt nicht lange, aber bei der Wiedervereinigung fehlte der Bassist Kai Sichtermann. Er wurde durch Gino Götz ersetzt, der mit den Scherben schon am Kinderhörspiel Teufel hast du Wind zusammengearbeitet hatte.

Quelle: Wikipedia
Grafik:
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 50

Mein Name ist Mensch

Theater-Tip, auch wenn durch den kulturellen Shutdown die Spielzeit verschoben ist

Rio Reiser – Mein Name ist Mensch
»Berlin 1970. Hausbesetzungen, Kommune 1, LSD, die Gründung der RAF – West-Berlin ist das Zentrum des subversiven Untergrunds. In dieser Zeit des Aufbruchs und der Rebellion schließt sich um Rio Reiser die legendäre Band „Ton Steine Scherben“ zusammen. Sie liefert fortan den Soundtrack einer Generation. Als die Band auseinanderfällt, startet Rio Reiser eine Solo-Karriere. Das Stück erzählt die Geschichte des Musikers anhand seiner Lieder, die politisch, persönlich und emotional bewegen.«

Komödie am Kurfürstendamm im Schillertheater

Grafik: Abb: Philip Butz. Copyright (c) Franziska Strauss

Angie Olbrich

Chor, Perkussion, 1972 bis 1982

“Blutjung und von zu Hause ausgerissen war sie, als sie Anfang der 70er zu den Politrockern stieß. […] »Bevor ich bei den Scherben einstieg hatte ich noch nie einen Bass in der Hand gehabt, aber Rio hat gesagt: Du machst das schon.« […] Die Bandmitglieder wohnen zusammen in Berlin-Kreuzberg. »Es kamen immer irgendwelche Leute vorbei, die irgendwas wollten und auch dort übernachteten. Immer mal wieder hat die Polizei geklingelt, die jemanden einfangen wollte«, erinnert sich Olbrich. Und: »Wir hatten kaum was zum leben, weil wir als linke Band immer solidarisch zu sein hatten. Aber von irgendwas mussten wir ja auch leben. Auf Tour mussten wir in den letzten Löchern pennen. Die Leute hatten den Kühlschrank voll – und wir hatten nichts zu fressen.« Und so ging sie mit anderen Bandmitgliedern Lebensmittel klauen, wie sie freimütig zugibt.”
Unbedingt weiterlesen: shz.de/2599976

Grafik
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 49

Claudia Roth

Management, 1982-85

Ab 1982 war Claudia Managerin der Politrockband und lebte während dieser Zeit mit ihrem Freund, dem Keyboarder Martin Paul, und der Band in Fresenhagen. Sie hatte Rio Reiser über Hoffmanns Comic Teater bereits 1976 kennengelernt und hatte sich da schon für eine Selbstorganisation der Künstler stark gemacht. Ihr Kommentar zur Kommerzialisierung der unabhängigen Labels: “Das ist genauso, als wenn ein Jugendzentrum vor 14 Jahren für Unabhängigkeit oder Selbstverwaltung gekämpft hat und jetzt einfach diejenigen Kinder und Jugendlichen, die jetzt da sind, den Gedanken nicht nachvollziehen können und auch nicht daran hängen. Für viele spielt es keine Rolle mehr, ob ein bestimmtes Produkt bei David Volksmund erscheint oder ob es bei der CBS rauskommt. Die EMI-Musikant oder sonstwelche Dehms haben ja auch viel dafür getan, den Alternativmarkt zu erobern. Zugegeben: Sehr geschickt. Und da sind wir dann eher die Blöden. Das erleben wir z.B. auch, wenn wir für die Grünen spielen oder für die Friedensbewegung in Bonn. Da machen nicht einmal die Veranstalter einen Unterschied. Nicht mal solche Leute, von denen du erwarten könntest, daß sie aufgeklärt sind, begreifen, welche Unterschiede es gibt. Oder daß die ganze Alternativszene, die ganze Friedensbewegung in der Zwischenzeit ein Markt geworden ist. Ein ziemlich hefitger Markt sogar.”

Quellen
WIkipedia
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 156

Grafik
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
Foto: Loretta Walz
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 155

Martin Paul

Keyboard 1981-85

“Bei den Scherben hatte ich das Gefühl, daß es eine Gruppe ist, in die ich mich tatsächlich auch einbringen kann, wo ich mich, besonders nach der Schwarzen, auch musikalisch wiederfinden konnte. Die Schwarze war schon der Auslöser. Ich fand die Schwarze logisch nach den ersten Platten. Auch textlich. Ich habe nie damit das Problem gehabt, daß es ein Bruch wäre. Und musikalisch fand ich sie sehr gut.
Ich hab mich dann reingetastet und habe die Erfahrung gemacht, daß die Scherben offen sind: Wenn man die Theatermusik kennt, wie experimentell die zum Teil ist, dann ist das auch kein Wunder. Bei der letzten PLatte war es so, wir haben da irgendwie angefangen Songs zu sammeln, und dann war da witzigerweise ‘Tanz’, das erste Stück, das ich in Fresenhagen komponiert und eingebracht hatte, das war ganz verrückt.” — Martin Paul

Quelle
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 135f
Grafik
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
Foto: Gerda Förster-Ebert
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 135

Wo sind wir jetzt

Ihr macht mich kalt, ihr macht mich kalt
Ich fühl, ich fühl mich tausend Jahre alt

Ihr macht mich leer, ihr macht mich leer
Ich fühl, ich fühl mich tausend Tonnen schwer

Keine Zeit für mich, keine Zeit für mich
Ich such den Ausgang, aber die Tür ist dicht

YouTube: youtube.com/watch?v=53-Dju8wCtM

Grafik:
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
Foto: Dirk Nishen Verlag in Kreuzberg
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 140

Jenseits von Eden

Der Song Jenseits von Eden erschien als erster Titel auf dem Album „IV“, das auch „die Schwarze“ genannt wird. Musikalisch hatte die Band sich in der Fresenhagener Zeit deutlich weiterentwickelt. Auch wurde der musikalischen Gestaltung nun allgemein ein höherer Stellenwert beigemessen. Kai Sichtermann bezeichnet das Album unter anderem als Höhepunkt seiner Musikerkarriere, “ein ganz großes Highlight.“ Der Rückzugsort in Fresenhagen trennte die Scherben nicht nur von aufreibenden Debatten, sondern auch von Teilen ihrer Rezipient:innen. Die so veränderte Arbeitssituation schlug sich auch in der Arbeitsweise nieder, die nun weniger Gesprächsmitschnitte aus der linken Szene oder Alltagssituationen in der Großstadt zum Ausgangspunkt nahm, sondern einen anderen Ansatz wählte.

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Das Private ist politisch? – Die Texte von Ton Steine Scherben und die Neue Subjektivität, Bennet Schuster, 2018

Marius del Mestre

Er kam als Gitarrist 1980 mit 19 Jahren zu Ton Steine Scherben und zog noch im gleichen Jahr zu den Berlinern in die “Freie Republik Fresenhagen”. Drei Jahre später flog er schon wieder aus der Band, da ein Discobesuch seiner damaligen Freundin wichtiger war als die Aufnahmen zur nächsten Platte. Rios Worte: “Entweder, du steigst aus, oder ich.” Marius berichtet in einem Interview weiter, dass nach dem Tod Rios dessen Brüder Fresenhagen übernahmen und RPS Lanrue “rausgeekelt” haben. Nachdem er das Gehöft für die Brüder bis 2007 verwaltete, kam es zwischen ihm und dem Bruder Gerd Möbius ebenfalls zum Bruch. Seit 2011 spielt er im Duo “Scherbe kontra Bass” mit Akki Schulz Songs von Rio, den Scherben und Eigenkreationen.

Quellen: Tagesblatt, Scherbe kontra Bass
Grafik
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 145

Feierabend

Es ist Feierabend und die Arbeit ist vorbei,
heut ist Tanz auf dem Vulkan und du bist dabei.

Besuch doch heute Abend deinen Chef
und fahr mit seinem Mercedes weg.
Gib ihm doch endlich seinen Lohn,
mach dich auf die Socken, er wartet schon.

Es ist Zahltag, Junge, und die Arbeit ist vorbei.
Tu, was du tun willst und du bist frei.

Bildquelle
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 46

Britta Neander

Britta Neander spielte von 1974 bis 1982 Schlagzeug und Perkussion bei den Scherben. Sandra Grether beschreibt die 2004 verstorbene Britta in einem Nachruf:

“Sie war so freundlich und mädchenhaft, dass man sie zwischendurch gern mal in den Arm genommen hätte. Aber in der kalten Welt des Musikbusiness nimmt man warme Worte, aufmunternde Ratschläge und Heißgetränke gerne mal so mit, um sich gestärkt wieder in den Kampf, die Diskussionen zu stürzen. Vor allem, wenn die wieder mal davon handeln, wie es so ist für “Frauenrockbands”.
Britta Neander, so schien es, hatte “unsere” Utopien schon in den Siebzigern durchlebt und auch ein bisschen wahr werden lassen: Sie musste nicht mehr durchdrehen in dieser Rockwelt, in der Schlagzeugerinnen auch im aktuellen Jahrtausend noch superselten sind. Denn Britta war kühn vorangegangen und hatte bereits in den Siebzigern bei Ton Steine Scherben gespielt. Zuerst Perkussion. Später Schlagzeug. Mit den Scherben fühlte [sie] sich […] so, als würde sich die “Tür zu einer Welt öffnen, zu der mir vorher der Schlüssel fehlte”.”

Der gesamte Nachruf ist hier nachzulesen.

Quelle: Kivondo

Freie Republik Fresenhagen

Mitte der 70er Jahre kauften die Scherben ein Gehöft in Fresenhagen. In der „Freien Republik Fresenhagen“ lebte und arbeitete die Band in den 70er und 80er Jahren in einem 250 Jahre alten, denkmalgeschützten Haus. Der Umzug hierher war unter anderem eine Flucht vor ihrerer politischen Rolle in Berlin. Die Musik wurde in Fresenhagen dann auch weniger politisch, dafür umso musikalischer mit Elementen aus Jazz, Funk und Folk.

Rio Reiser wurde hier beigesetzt. Nach seinem Tod wurde der Hof weiter als Kulturzentrum durch die Brüder Peter und Gert Möbius im Sinne Rios betrieben. Neben einem Museum fanden hier Kunstausstellungen, Lesungen, Theater, Workshops, Seminare, Tagungen und Musikveranstaltungen statt. 2011 konnte der Betrieb des Ortes nicht mehr aufrecht erhalten werden und das Gebäude wurde zwangsversteigert. Rio wurde auf den Sankt Matthäus- Kirchhof in Berlin umgebettet.

Quellen: Stadum, Wikipedia
Grafik: Rio-Reiser-Haus in Fresenhagen (2007), Eckhard Driessen, CC BY 3.0

Elfie-Esther Steitz & Carambolage

Elfie-Esther Steitz begleitete als Schwester von R.P.S. Lanrue die Band von 1979 bis 1982 als Sängerin. Im Umfeld der Scherben gründete sie zusammen mit Britta Neander und Angie Olbrich eine der ersten deutschen Frauenrockbands: Carambolage. Nach einem Demotape, guten Kritiken und einem erfolgreichen Auftritt im Kreuzberger SO36 gingen sie auf Tour durch Deutschland, Österreich und Italien. Zwei Alben später wurde der Nena-Produzent Manne Praeker auf die Band aufmerksam. Spannungen innerhalb der Band, nicht zuletzt auch wegen des Spagats zwischen Kunst und Kommerz, führten 1985 zur Auflösung. Das dritte Album “Bon Voyage” wurde vom Plattenlabel abgelehnt und erst im Sommer 2019 bei Fuego veröffentlicht.

Elfie-Esther tritt nur noch gelegentlich als Musikerin und Sängerin in Erscheinung, zuletzt als Mitglied der Ton Steine Scherben auf der Tour 2014 bis 2016.

Quellen: Carambolage, Fuego

Wenn die Nacht am tiefsten

In den Jahren 1973 und 1974 hatten die Scherben immer weniger Lust darauf, die „politische Musikbox“ der linken Szene zu sein. Dazu gehörte schließlich auch, dass man vom Publikum höchstens einen „Solidaritätsbeitrag“ als Eintritt fordern konnte, wovon es sich nicht besonders gut leben ließ. Finanzielle Probleme führten zur Auflösung 1973. Die Trennung hielt nicht lange, jedoch fehlte bei der Wiedervereinigung der Bassist Kai Sichtermann. Er wurde durch Gino Götz ersetzt, der mit den Scherben schon am Kinderhörspiel Teufel hast du Wind zusammengearbeitet hatte. Außerdem fehlte nach wie vor ein Schlagzeuger. Man entschied sich für den in Reichenberg bei Würzburg geborenen Funky K. Götzner. In dieser Besetzung wurde 1975 das Album “Wenn die Nacht am tiefsten” aufgenommen.

Der Song “Wenn die Nacht am tiefsten” basiert auf einem Spruch von Hồ Chí Minh, geschrieben von Rio als einer seiner Freunde wegen eines Unfalls im Krankenhaus lag.

Quellen: Songtext (Wenn die Nacht am tiefsten), Geschichte, Diskographie

Wann?

Dieses Lied bildet eine einmalige Ausnahme, da es nicht von den Scherben performt wurde, sondern auf Rios Solo-Album “Blinder Passagier” von 1987 erschienen ist.

Wir stellen euch diesen Song vor, da der diesjährige Rio Reiser Songpreis unter dem Motto “Wann?” läuft. Dieser Preis wird seit Rios Tod regelmäßig ausgelobt. Auf ihren Tourneen im deutschsprachigen Raum trafen Rio und die Scherben immer wieder junge, hochbegabte Rockmusiker, die sich – ob poetisch oder politisch, ob in Hochdeutsch oder im Dialekt ihrer Region – vergeblich darum bemühten, mit ihren Songs und Liedern über den lokalen Erfolg hinaus Beachtung und Aufmerksamkeit zu finden. Der Rio Reiser Songpreis, der solchen jungen, unbekannten und songschreibenden Musikern, Sängerinnen und Sängern eine Hervorhebung ihrer Leistungen verschaffen sollte, wurde zum ersten Mal im August 1998 im Berliner Tempodrom (damals noch ein Zirkuszelt) vergeben.

Webseite | Twitter | Instagram

Quelle: Rio Reiser Songpreis

Sklavenhändler

Und wenn ich siebenfuffzich verdiene, geb ich dir dreifuffzich ab.
Ich brauch nur was zu essen und vielleicht ein bisschen Schnaps.
Ich brauch überhaupt nicht viel Geld, denn ich bin ein schlechter Mensch.
Ich hab mein ganzes Leben nichts gelernt, außer dass man besser die Fresse hält.

YouTube: youtube.com/watch?v=_nwqsqTEqjw

Grafik:
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 130

Dirk Schlömer

Der Gitarrist Dirk Schlömer begleitet die Band von 1983 bis 1985, unter anderem bei einer gemeinsamen Tour mit “Schroeder Roadshow” durch 30 Nächte in 30 Städten. Der Rockpalast-Regisseur Christian Wagner hielt diese Tour in einem fünfeinhalbstündigen Film fest. Schlömer spann den Faden der Scherben nach Rios Tod weiter, 1999 mit der Band “Neues Glas aus alten Scherben”, ab 2002 im Duo mit Leander Reininghaus “Neues Glas / akustisch” und daraus hervorgehend als ElektRio mit Alexander Jovanovic als Dritten im Bunde.

Quellen: Ton Steine Scherben Chronologie, Schroeder Roadshow, Neues Glas aus alten Scherben
Grafik:
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 130

Ich will nicht werden, was mein Alter ist

Fr, 24. Januar, 20 Uhr: Kai & Funky von TSS & Gymmick akustisch @ Zeitgeist, Großenhainer Str. 93, 01127 Dresden

Arbeit macht das Leben süß, so süß wie Maschienenöl.
Ich mach den ganzen Tag nur Sachen, die ich gar nicht machen will.
Ich möchte gern mal meinem Chef die Möbel gerade ziehn.
Doch ich krieg die Faust nicht aus der Tasche, ich weiß nicht mehr, was ich will.
Ich möchte am liebsten abhauen, wenns zu Hause wieder kracht.
Ich warte jeden Montag Morgen schon auf Freitag Nacht.

Video: dailymotion.com/video/x4xjse0

Grafik:
Ton Steine Scherben – Geschichten Noten Texte und Fotos aus 15 Jahren
© 2007 David Volksmund Verlag und Produktion, 25917 Fresenhagen, 3. Auflage, S. 21

Keine Macht für niemand

Nach Angaben von Rio Reiser stammt die Parole aus der Anarcho-Zeitung Germania. „Keine Macht für Niemand“ findet sich heute – knapp 50 Jahre nach der Veröffentlichung – immer noch als Graffiti auf Häuserwänden, gemäß der Aufforderung „Schreibt die Parole an jede Wand!“ Nach Reisers eigenen Angaben wurde die Hymne von den Mitgliedern der späteren Bewegung 2. Juni um Fritz Teufel in Auftrag gegeben und nicht, wie oftmals behauptet, von der RAF.

Weitere Termine
Mi, 15. Jan, 20:00, Jan Plewka singt Ton Steine Scherben und Rio Reiser
@ Schauspielhaus, Staatsschauspiel Dresden

Quellen: Keine Macht für Niemand, Rio Reiser – Politisches Engagement